Liebe Freundinnen und
Freunde des
guten Schirmer/Mosel-Buchs,
ich freue mich, Ihnen
nachfolgend die Bücher unseres Herbstprogramms
vorzustellen.
Aber werfen wir erst
einmal einen Blick auf die allgemeine Lage. Sie
hat sich durch den Ausbruch des Bruderkriegs
zwischen Russland und der Ukraine wesentlich
verschlechtert. Zur pandemischen Krise, die
weder bewältigt noch besiegt ist, ist der Krieg
hinzugetreten, dessen Schrecken globale Wirkung
haben und dessen Ende in weiter Ferne zu liegen
scheint. Alles in allem haben sich die
Aussichten, erfolgreich schöne Kunstbücher in
die Welt zu tragen, sehr verschlechtert, mental
und materiell. Als kleine Momentaufnahme meiner
psychischen Verfasstheit mag das folgende
Erlebnis gelten: In der FAZ vom 6. April
eröffnete das Feuilleton auf Seite 1 mit einem
Interview des ukrainischen Botschafters in
Berlin, Andrij Melnyk. Ich las mich sofort fest
und war danach so gelähmt, dass ich beim
Umblättern auf Seite 2 die schöne Rezension
meines Roger Fritz-Buches von Claudius
Seidl, mit einem wunderbaren Romy Schneider-Bild
fast ganzseitig illustriert, völlig übersehen
und überblättert habe. Nun, wenn es mir bei
meinen eigenen Büchern schon so geht, wie mag es
dann anderen Zeitgenossen gehen?
Ich möchte mein neues
Programm, um mich von der gereizten,
feindseligen Stimmung abzusetzen, die sich
breitmacht, mit einer Anzeige der Bücher unseres
russischen Autors Andrej Tarkovskij
beginnen. Der Überblick über das Gesamtwerk
dieses großen Filmemachers ist eines der
schönsten und eindrucksvollsten Dokumente
russischer Kunst in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts. Die Studie des britischen
Filmhistorikers und Schriftstellers Geoff Dyer,
die ausschließlich dem Tarkovskij-Film
Stalker gewidmet ist und den Titel Die
Zone trägt, ist lesenswerter denn je.
Unser Programm
enthält eine Fülle von sehens- und lesenswerten
Neuerscheinungen. Von Wolfgang Kemp und seiner
Frau Catharina Berents legen wir die historische
Studie über die Photographie am Hof Napoleons
III. in Paris vor, mit den Schwerpunkten auf der
berühmten Contessa di Castiglione und dem großen
französischen Photographen Olympe Aguado.
Das Autorenpaar
Amanda Holmes und Hubertus Gassner stellt die
Bauwerke und die Kunstsammlung des britischen
Aristokraten Edward James vor, der als
gebildeter Erbe zweier großer Vermögen der Mäzen
von Salvador Dalí und Magritte wurde. Seine
Spuren als Schriftsteller – er finanzierte die
surrealistische Zeitung Minotaure –,
seine atemberaubende Kunstsammlung und seine
phantastischen Häuser in der ganzen Welt sind
das Thema unseres Buches.
Mit den
Selbstportraits von Picasso und den
Aquarellen von Wols setzen wir unsere
Meisterserie des 20. Jahrhunderts fort. Die
Gedichte von Heiner Bastian, illustriert
mit Aquarellen von Anselm Kiefer, setzen
unsere Serie von Büchern fort, in denen sich
Literatur und bildende Kunst innig verbinden.
Sie hat mit Michael Krügers Studie zu den
Gemälden von Segantini gerade ihren
ersten Höhepunkt erreicht.
Buchkomplexe zu
Marilyn Monroe, deren Todestag sich am 4.
August zum 60. Mal jährt, Buchgruppen zu
August Sander, Becher und Beuys
ergänzen das Programm. Das Metropolitan Museum
in New York eröffnet am 15. Juli eine Bernd und
Hilla Becher-Ausstellung, die dann nach San
Francisco weiterreist und bis zum Februar
nächsten Jahres zu sehen ist. Wir feiern dieses
Ereignis mit der Vorstellung unserer
einzigartigen Becher-Edition sowie mit
einem Band über das Becherhaus in Mudersbach
bei Siegen, das Laurenz Berges
photographiert hat und für das Hanns-Josef
Ortheil einen Text geschrieben hat.
Last but not least
offerieren wir eine Neuauflage unseres Café
Lehmitz-Buchs von Anders Petersen.
Unser Freund und Autor Tom Waits hat
dafür ein treffliches Vorwort geschrieben, das
nun die amerikanische Ausgabe dieses Höhepunkts
der europäischen Dokumentarphotographie
begleiten wird.
Unseren Freund und
Autor, den Photohistoriker und Museumskurator
Ulrich Pohlmann, werden wir mit einer
Festschrift über sein Wirken an der
Photosammlung des Münchner Stadtmuseums zu
seinem Ausscheiden dort zum Ende dieses Jahres
ehren.
Und zuletzt, in
eigener Sache: Wir sind mit dem Deutschen
Verlagspreis des Jahres 2022 ausgezeichnet
worden. Wieder einmal hat es für den großen
Preis nicht gereicht. Aber dreimal der kleine
ist auch fast ein großer, zumindest was das
Preisgeld anbetrifft.
Ich danke für Ihre
Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen viel Vergnügen
und Erfolg mit unseren neuen Büchern.

Ihr
Lothar Schirmer München, Mai 2022
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